Agathas mörderisches Insel-Duell

Schüler des JAG spielten im Neuen Theater Agatha Christies "10 kleine Negerlein".



"Agatha Christie war ihrer Zeit weit voraus." Die Anmerkung von Folke Jürgens hatte durchaus ihre Berechtigung. Zu Recht schlug die Lehrerin des Emder Johannes-Althusius-Gymnasiums (JAG) zu Beginn des Theaterstückes ihrer Schüler den Bogen zur verdrehten Fernsehwelt unserer Tage. Was vor 20, 30 Jahren noch ausschließlich Stoff für fantasievolle Krimis bot, droht heute perverse TV-Realität zu werden. Eine Gruppe von Menschen auf sich allein gestellt. Auf einer kargen Insel. Ohne Verbindung zur Außenwelt. Kleine psychologische Kämpfe, Reibereien, Verdächtigungen, Marotten, sture Charaktere, falsches Spiel. Nur an Mord hat sich allerdings noch kein Fernsehproduzent herangewagt - noch nicht, ist man versucht zu sagen.
Und so bleibt es - Gott sei Dank - den alten Krimi-Haudegen überlassen, die Rückenpartie der Zuschauer zum Kribbeln zu bringen. Agatha Christies "10 kleine Negerlein" fordert bis zur letzten Minute den Detektiv in uns allen. Es ist schon erstaunlich, dass sich der JAG-Kurs "Darstellendes Spiel" gerade diesen Theater-Klassiker ausgewählt hat, um dem Publikum am Samstagabend im Neuen Theater zweieinhalb Stunden lang ein "mörderisches Vergnügen" zu bereiten.
Zweieinhalb Stunden Theater! Die Spannung über diese lange Zeit zu halten, war eine außergewöhnliche Leistung der zehn Akteure. Zumal Christies Stück nicht gerade ein Quell humoristischer Pointen, kein Sprudel von Witz und Wortspiel darstellt. Gerade deshalb ist es so schwer, den Kontakt zwischen der Bühne und den Publikumsreihen nicht abreißen zu lassen.
Einen großen Anteil daran, dass dies der JAG-Theatergruppe nie passierte, hatte sicher die enorme Textsicherheit der jungen Schauspieler. Hinzu war jeder von der ersten Minute an laut und deutlich zu verstehen - durchaus keine Selbstverständlichkeit. Die an fünf Fingern abzuzählenden Missgeschicke (wer hatte eigentlich die Pistole verbummelt?) brachten die Truppe niemals aus dem Tritt. Auch das muss gelernt sein. Und so blieben die fast 400 Mitschüler, Eltern, Lehrer, Verwandte und Freunde durchweg "bei der Stange".
Die zehn Figuren - jede für sich "very british" - bekamen von den gymnasialen Darstellern schnell ihren eigenen Charakter verpasst. Und als nach über einer Stunde der erste Tote vorlag, war der Zuschauer eingehend über die Marotten der potenziell Verdächtigen informiert. Es konnte fleißig spekuliert werden.
Was dann folgte war eine Überraschung nach der anderen. Man könnte auch sagen: "Leichen in 15-Minuten-Takt". Sie fielen wie die Fliegen, der trunkene Möchtegern Lebemann (Hauke Rudolph), die ewig unzufriedene Köchin (Ute Siebels), der schwerhörige General (Benjamin Swieter), der zur Flasche neigende Butler (Michael Luckner), die religiöse Lady (Janna Rengel), die verzweifelte Psychologin (Stephanie Brinkel), der angebliche Abenteurer (Aiko Schoolmann), die immer flirtbereite Sekretärin (Maite Beisser), der Ex-Kommissar (Eva Donandt) und der scharfsinnige, allerdings auch äußerst mörderische Staatsanwalt a.D. (Jonathan van der Kamp).
Das positive Bild des Theaterabends rundeten das professionell gestaltete Bühnenbild und die auf dem Klavier gebotenen Variationen des Kinderliedes "10 kleine Negerlein" ab.