Freitag, 28. Januar 2005

"Das Erinnern darf nicht aussterben"
Schüler des Johannes-Althusius-Gymnasiums gedachten im Neuen Theater der Opfer des Nationalsozialismus.
Von EZ-Redaktionsmitglied STEPHANIE SCHUURMAN
  Gedenken: Schüler erinnerten im Neuen Theater an das Schicksal von Jugendlichen vor 60 Jahren. EZ-Bild: Krämer 
  Am Ende herrscht Stille. Nachdenkliches Schweigen, betretene Gesichter. Nur langsam erheben sich die Besucher von ihren Stühlen ...
"Junge Menschen trifft keine persönliche Schuld, aber es ist wichtig, dass sie die Erinnerung an das Verbrechen wach halten." Mit diesen Worten würdigte Oberbürgermeister Alwin Brinkmann
schon zu Beginn die Veranstaltung zum Gedenken der Opfer des Nationalsozialismus, die gestern Schüler des Johannes-Althusius-Gymnasiums im voll besetzten Neuen Theater ausrichteten. Brinkmann: "Das Erinnern darf nicht aussterben."
Im Mittelpunkt der Veranstaltung stand das Schicksal der Jugendlichen im Dritten Reich. Vom Leben der jungen Menschen, die sich nicht der Hitlerjugend (HJ) oder dem Bund Deutscher Mädel anschlossen, berichteten Schüler des Jahrgangs 11 aus dem Kurs "Darstellendes Spiel". Diesen Jugendlichen war es zuwider, an Kampfsportveranstaltungen der HJ teilzunehmen, sich von Gleichaltrigen drillen zu lassen. Sie flüchteten in eine Art Gegenkultur, zu den "Swing-Kids". Ohne eigentlichen politischen Hintergrund, doch so gegensätzlich zum Erscheinungsbild der uniformen und gleichgeschalteten HJ. Ihre Vorliebe für Jazz und Swing sollte für viele zum Verhängnis werden.
"Liebesversuch"

Was folgte, war die systematische Kriminalisierung dieser Abtrünnigen. Arbeitsverweigerung, Sabotage, Homosexualität oder andere fadenscheinige Gründe wurden den "Swing-Kids", den Jugendlichen mit "asozialem und kriminellen Charakter" attestiert. Grund genug, um in einem der Jugend-Konzentrationslager wie Moringen oder Uckermark zu landen. Was dort mit ihnen geschah, machte Heidrun Schwarz
aus dem Jahrgang 11 an einem Beispiel deutlich. Sie schilderte einen "Liebesversuch". Ein mit Röntgenstrahlen behandeltes Paar sollte auf seine vermeintliche Zeugungsunfähigkeit getestet werden. Allein unter Beobachtung und in Gefangenschaft mochten sie den Geschlechtsakt nicht vollziehen. Der Versuch wurde abgebrochen, die "Versuchspersonen" wurden erschossen.
Neuntklässler aus dem Wahlpflichtkurs Geschichte berichteten von einem Interview mit einer Zeitzeugin aus Ostfriesland. Frau Gohmann aus Stapelmoor hatte sehr wohl beobachtet, wie die Juden aus ihrem Dorf abtransportiert wurden. "Aber ich kann bis heute nicht sagen, wie wir reagiert hätten, wenn wir von ihrem Schicksal gewusst hätten." Von den verschwundenen Juden hörten die Stapelmoorer nie wieder etwas.
Tagträume

Panzer, die die Toreinfahrten zum KZ durchbrechen. Englische oder russische Stahlhelme die auftauchen und rufen: "Kommt raus, es gibt keine Nazis mehr." - Befreiungsträume von inhaftierten KZ-Jugendlichen, die Schüler aus dem 12. und 13. Jahrgang wiedergaben. Tagträume, die sich nur für die wenigsten erfüllten, denn sie waren zu lange die Besiegten.
"Auschwitz ist das Synonym für alles, was der Mensch dem Menschen antun kann." Samy Attar
aus dem Leistungskurs Politik des 13. Jahrgangs trug seine Gedanken vor. Vermehrt werde behauptet, Schüler befassten sich zu sehr mit dem Thema. Schließlich seien auch Deutsche Opfer, etwa durch den Bombenkrieg. Attar: "Aber die Ursache muss doch stets im Vordergrund stehen!"
Brennpunkt-Themen, derer sich auch die NPD bedient. Sie verhalfen den Rechten in den Landtag Sachsens, machten die jüngsten Ereignisse, bei denen die Partei sich dem Gedenken der Nazi-Opfer verweigerte, erst möglich. "Es ist naiv zu glauben, dass uns so etwas nicht auch in Ostfriesland erreichen kann", betonte Attar. "Nur das Erinnern verhindert das Vergessen."