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Endlich im Internet: Fertige Hausaufgaben zum Herunterladen. Die Schüler jubeln Schummeln online
Katharina Slodczyk


Wenn Bastian Wilhelms gelobt werden will, muß er nur seinen Computer einschalten. Hunderte dankbarer Schüler aus ganz Deutschland schicken ihm Komplimente per E-Mail: "Einfach genial" und "echt super" sei sein Angebot im Internet, "oberaffenstark" und "megageil". Jede Menge Zustimmung für eine einfache Idee. Der neunzehn Jahre alte Schüler aus Celle hat eine online abrufbare Hausaufgabensammlung aufgebaut, zu finden unter
http://www.cheatweb.de/.

Mehr als siebenhundert Referate und Aufsätze, Übersetzungen und Interpretationen, nach Fächern sortiert, stehen dort zum Herunterladen bereit - von George Orwells "Animal Farm" bis zur "Zusammensetzung von Dioxinen und Furanen". Im cheatweb, zu deutsch: Schummelnetz, kann man erfahren, wie sich Moos fortpflanzt und wie Enzyme bei der Verdauung helfen; man lernt, daß die alten Griechen mehr von Demokratie verstanden als die Römer und daß die rotgrüne Sehschwäche ans Geschlechtschromosom gebunden ist.

Vorbei die Zeiten, als faule Schüler Hausaufgaben heimlich in der Pause auf dem Klo kopierten. Jetzt können sie endlich online abschreiben. "Morgen muß ich meinen Bio-Aufsatz abgeben. Ich habe nichts gemacht und habe jetzt trotzdem über zehn Seiten Text. Danke!" schreibt ein Schüler, der sich anonym ins virtuelle Gästebuch von Bastian Wilhelms eingetragen hat. Bleibt zu hoffen, daß keiner seiner Klassenkameraden exakt denselben Aufsatz abliefert.

Sonst kann eigentlich nicht viel schiefgehen, denn Wilhelms nimmt nur gute Arbeiten in seine Sammlung auf. Die Hausaufgaben, die von Schülern aus Deutschland, Österreich und der Schweiz stammen, sind im schlechtesten Fall mit einer Zwei minus benotet worden. Kontrollieren kann Wilhelms das freilich nicht - er muß seinen Zulieferern vertrauen.

Online cheating heißt die neue Methode zum Lösen der Hausaufgaben. Den Anfang haben amerikanische Collegestudenten gemacht. Im Internet boten sie Essays und Referate an - im Tausch gegen gleichwertige Arbeiten. Das cheatweb ist bisher die größte deutschsprachige Hausaufgabensammlung, aber längst nicht mehr die einzige. Wer bei Bastian Wilhelms die Lösung nicht findet, kann auf viele andere Schülerdienste im World Wide Web zurückgreifen. Unter www.ccc.or.at/schule/schulothek/deutsch.htm werden zum Beispiel auf liniertem Schulheft-Hintergrund Hochfrequenztechniken und Logarithmen erklärt, der Faschismus in Italien oder die Wirkung der Medien. Etwa zweihundert Referate, Inhaltsangaben und andere Hausarbeiten stehen kostenlos zur Verfügung Tippfehler inklusive: Aus Heinrich Bölls "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" wird da schnell mal eine "Katherina".

Wer dagegen in der etwas umfangreicheren Sammlung unter www.hausaufgabe.de die Lösung seiner Schularbeiten suchen will, muß den Betreibern, einer Gruppe von sieben Schülern, vorab eine eigene Hausarbeit liefern, sozusagen als Bezahlung. Dafür bekommt er ein Paßwort und kann dann nach den Ursachen für den Zweiten Weltkrieg oder den Lebensbedingungen der Eskimos forschen.

Mehr als nur die Möglichkeit abzuschreiben bieten die Betreiber von "Abi Power Tools" (www.abi-tools.de). Stephan Birk, ein Geograph, und Matthias Schurig, ein ehemaliger Referendar, haben sich auf Biologie und Chemie spezialisiert. Ihre Zielgruppe sind Abiturienten, die in Fragebögen ihr Wissen zur Cytogenetik und den Mendelschen Regeln, zum Atomaufbau und zur Redoxreaktion überprüfen können.

Lehrer protestieren gegen die Anleitung zum Abschreiben

Auch andere Schülerdienste haben sich spezialisiert. Referate zu allen möglichen Themen gibt es unter www.referate.de, ein Angebot von zwei Schülern aus Butzbach bei Frankfurt. Wem die Zeit für eine umfangreiche Facharbeit fehlt, für den lohnt ein Blick auf die Adresse www.schul hilfen.com. Dort haben zwei Schüler aus Erlangen Hunderte von Aufsätzen ins Netz gestellt.

In Fächern wie Deutsch und Englisch, in denen regelmäßig Bertolt Brechts "Der gute Mensch von Sezuan" oder Aldous Huxleys "Brave New World" gelesen werden, kann man sich inzwischen die Hausaufgaben per Mausklick zusammenstoppeln. Übersetzungen, Zusammenfassungen und Interpretationen der wichtigsten Klassiker tauchen heute in fast jeder Hausaufgabensammlung auf.

Angefangen hat alles ganz bescheiden: Als Bastian Wilhelms Ende 1996 mit seinem cheatweb ins Netz ging, gab es dort nur wenig Nützliches für deutschsprachige Schüler. "Wenn ich in die Suchmaschinen ein Stichwort aus meinen Hausaufgaben eintippte, war die Ausbeute ziemlich mager", erzählt der Schüler. "Dabei war doch klar, daß schon tausend Leute vor mir dieselben Hausaufgaben gemacht hatten." An die wollte er mit Hilfe des World Wide Web rankommen. Er stellte seine eigenen Hausaufgaben ins Netz und schrieb Diskussionsforen und Internet-Zeitschriften an, um mehr Material zu bekommen. Gleichzeitig machte er Werbung für seine eigenen Seiten. Innerhalb von einer Woche erreichten ihn per E-Mail 56 Megabyte an nützlichem Material. "Da ist mein Server erst mal zusammengebrochen", erzählt Bastian Wilhelms. Heute kommen rund zweitausend Besucher täglich auf seine Seiten. Auch wer keinen Internet-Zugang hat, kann sich im cheatweb bedienen: Für 35 Mark gibt es die Hausaufgabensammlung auf CD-ROM.

So beliebt Wilhelms Idee bei Schülern ist, bei Lehrern hat sie ihm nur Ärger eingebracht. Er bekam Dutzende von Zuschriften von Studienräten, die das cheatweb für schädlich halten, weil es das Abschreiben fördere. Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, sieht das gelassener. Schummeln, das habe es schon immer gegeben, sagt er. Jetzt sei einfach eine weitere Quelle dazugekommen. "Wenn jemand eine längere Ausarbeitung machen muß, sollten wir den Prozeß des Schreibens aufmerksamer begleiten und zwischendurch schon die Fortschritte erfragen", meint Kraus. "Und wenn ein Schüler völlig unerwartet eine gute Arbeit abliefert, kann man mündlich prüfen, ob er sich das Wissen erarbeitet oder abgekupfert hat."

Unter http://www.zeit.de/links/ finden Sie weitere Informationen über Schummelmöglichkeiten im Internet


© beim Autor/DIE ZEIT 1998 Nr. 17
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