Jasper Mührel berichtet von seinem Auslandsjahr aus Uganda

„The danger of a single story“ - Die Gefahr des einseitigen Berichtens - Über die vielseitigen Erfahrungen aus meinem Auslandsjahr in Uganda

Im Dezember letzten Jahres wurde ein von mir geschriebener Artikel in der Emder Zeitung über meine Erfahrungen in Uganda veröffentlicht. Ich schrieb hauptsächlich über die vermüllten, dreckigen Slums, die „rücksichtslosen“ Verkehrsteilnehmer und über Regenwälder, in denen man sich „Tarzan“ oder „King Kong“ vorstellen könne.
Im Rückblick fällt mir auf, dass meine Beschreibungen durch ihre Einseitigkeit und Überspitzungen nicht das widerspiegeln, was ich hier sehe und erlebe.
Denken wir an „Afrika“, denken wir an Lehm-Hütten, traditionelle Tänze, Safaris, hungernde Kinder und viel Armut. Allein der Überbegriff „Afrika“ wird den einzelnen Staaten Afrikas und ihren Unterschieden jedoch nicht gerecht.
Denn wenn wir einen afrikanischen Staat wie Uganda, oder auch den ganzen Kontinent Afrika, in seiner Komplexität und Fülle sehen und verstehen wollen, müssen wir uns von unserem einseitigen Bild über ihn, unseren Vorurteilen und Klischees in unseren Köpfen, trennen.
Ich dachte, alle Schiffe hier wären morsch und unsicher, in Tansania fuhr ich dann auf einer neuen High-Speed-Fähre. Ich erwartete Unpünktlichkeit, aber jeden Morgen versammeln sich die Mitarbeiter des Reach Outs, der Organisation, in der ich arbeite, um Punkt acht Uhr zur morgendlichen Besprechung.
Warum denken wir nur an die rückständigen, negativen Bilder und warum schrieb ich nur von ihnen? Es handelt sich hierbei um Bilder und Gefühle, die sich im Laufe unseres Lebens in unseren Köpfen durch Medien, Geschichten und Erzählungen gebildet, entwickelt und verfestigt haben. Das fängt schon beim Musical „König der Löwen“ an und hört bei der einseitigen Berichterstattung vieler Medien auf.
Werbeplakate von NGOs wie „Amnesty International“, Werbungen von Unicef oder Bilder bei Spendenaufrufen zeigen meist ein traurig aussehendes, unterernährtes Kind in der Wüste.
„Afrika“ besteht aber weder nur aus Wüste, noch nur aus hungernden Kindern.
Ja, es gibt hier verhältnismäßig viel Armut, viele Verkehrsunfälle, viel Müll auf den Straßen, viele HIV positive Menschen und auch hungernde Kinder. Im Supermarkt werden zum Beispiel kostenlos Plastiktüren verteilt, die man in kleinen Stücken im Straßenbelag wiedererkennen kann.  Aber nur diese Seite zu beleuchten, verwehrt uns einen realistischen Blick auf das Leben hier.
Ruanda hat auf den Plastikverbrauch reagiert und den Verkauf sowie die Einfuhr von Plastiktüten verboten. Ein vorbildlicher Schritt, den man in keinem europäischen Land gegangen ist.
Und es gibt geteerte Straßen mit Ampeln, moderne Hochhäuser, afrikanische Banken und Krankenhäuser. Beim Gang durch das Zentrum Nairobis, Kenias Hauptstadt, kam ich mir vor wie in Frankfurt am Main.
Es gibt gute Restaurants, in den Familien essen gehen, so wie wir es tun. Es gibt viele Studenten, gebildete junge Männer und Frauen, die zur Universität gehen und abends in Bars oder Clubs feiern gehen. Meine Freunde haben gerade ihre Abschlussprüfungen für den Bachelor abgelegt und feiern das am Wochenende.
Und es gibt viele Menschen wie Sie und ich, die morgens aufstehen, zur Arbeit gehen und abends zu ihren Familien zurückkehren. Ein ugandisches Schulkind geht ebenso regelmäßig und motiviert zur Schule, wie es ein Schulkind in Deutschland tut. Dazu trägt es sogar eine Uniform.
Ich möchte nicht den Fokus von den Problemen auf diesem Kontinent nehmen oder sie herunterspielen. Die genannten Probleme gibt es, ohne Frage. Aber nur, wenn wir neben diesen Problemen in unseren Köpfen auch den Platz für den progressiven, entwickelten, aufblühenden, lebendigen und selbstständigen afrikanischen Staat lassen, kann es uns gelingen, die Länder dieses Kontinents als ebenbürtige Partner wahrzunehmen.
Wenn wir auf unser eigenes Land schauen, erkennen wir vielleicht ähnliche Schwierigkeiten wie Verkehrstote, Umweltverschmutzung und auch Armut, ob geistig oder materiell. Greifbare Probleme, die es nicht nur südlich des Mittelmeers gibt.
Die junge Nigerianerin Chimamanda Adichie sagt in ihrem Vortrag „The danger of a single story“, der sich genau mit diesem Thema beschäftigt: „Das Problem mit Vorurteilen ist nicht, dass sie nicht wahr, sondern dass sie unvollständig sind. Sie lassen eine Geschichte die einzige Geschichte werden.“
Durch die oben genannte Einseitigkeit laufen wir Gefahr, Menschen, Länder oder einen ganzen Kontinent auf eine Geschichte zu reduzieren. Im Falle Afrikas auf die Geschichte von Armut, Krankheit und ursprüngliche Natur.
Das wird der Realität und dem Leben vor Ort jedoch nicht gerecht.


Am 28. Juni ist ein ganzseitiger Artikel über Jaspers Auslandsjahr und die bevorstehende Rückkehr in der Emder Zeitung erschienen. Der Bericht ist in unserem Pressespiegel abrufbar.