Ganz nebenbei sagte die Redakteurin am Telefon, alles sei aber „unter Vorbehalt“. Und ich dachte, das sei nur eine relativierende Floskel. Als ich jedoch am Donnerstag wieder im Zug nach Emden saß, hatte ich die volle Bedeutung dieser Formulierung begriffen: Es war ernst gemeint. Aber fangen wir vorne an:
- Freitagnachmittag (14.03.) gegen 16.00 Uhr: Das Hauptstadtstudio des ZDF ruft an und fragt, ob ich bereit sei, für ein Interview am nächsten Donnerstag nach Berlin zu kommen. Man habe mein Buch („Gute Lehrer müssen führen“) gelesen und sei davon sehr angetan. Man wolle mit mir darüber sprechen, was eine gute Lehrkraft ausmache. Ich bin geschmeichelt und willige ein, falls mein Schulleiter mich dafür befreit. Bevor ich auflege, kommt noch der Zusatz, die Anfrage sei aber unter Vorbehalt. Vielleicht lade man auch jemand anderen ein. Ich schreibe eine kurze Mail an Herrn Stracke, bitte um Befreiung und erkläre: Die (für mich) dadurch ausfallenden Stunden würde ich natürlich nachholen.
- Montagmorgen: Ich habe die Zustimmung des Schulleiters und warte nun darauf, ob man sich für mich entscheidet – oder nicht.
- Montagnachmittag: Ich bekomme einen Anruf der Redakteurin. Man plane sogar, mich zweimal zu interviewen, einmal um 6.40 Uhr und ein zweites Mal um 8.40 Uhr. Allerdings unter Vorbehalt, weil die endgültige Entscheidung erst Dienstagnachmittag getroffen werde. Ich suche mögliche Zugverbindungen heraus, denn wenn ich am Donnerstag um 6.40 Uhr in Berlin sein soll, muss ich am Mittwoch gleich nach der Schule fahren.
- Dienstagnachmittag: Die Entscheidung ist gefallen. Man will mich haben. Ich schicke eine Mail an Herrn Hockmann, der ja die Vertretung regeln muss. Den Plan für Donnerstag, den er bereits fertig hat, darf er wieder umkrempeln, was ihn verständlicherweise begeistert. Aber er trägt es mit stoischer Gelassenheit.
- Die Reiseabteilung des ZDF bucht für mich inzwischen Bahnfahrt und Hotelaufenthalt. Um 6.00 Uhr soll ich im Hotel abgeholt werden, damit ich rechtzeitig im Studio bin. Schließlich muss dort noch geschminkt und das Headset angebracht werden. Ganz egoistisch überlege ich, ob ich um 05.00 Uhr im Hotel wohl schon ein Frühstück bekomme.
- Mittwochnachmittag: Nach der 8. Std. eile ich zum Bahnhof, denn der Zug fährt um kurz nach Vier. Während der Fahrt überlege ich, was ich in den beiden Interviews (geplant sind jeweils 5-6 Minuten) sagen will. Zum Thema „gute Lehrer“ fällt mir viel ein. Vor allem möchte ich ansprechen, dass es ein anspruchsvoller Beruf ist, dessen pädagogische Anteile man kaum in einem 4-wöchigen Crashkurs erwerben kann, so wie es in Berlin bei „Quereinsteigern“ gemacht wird.
- Mittwochabend, im Zug kurz vor Berlin: Ich bekomme aufs Handy einen Anruf, in dem ich erfahre, dass ich erst um 8.40 Uhr dran bin. Der Beitrag um 6.40 Uhr ist gestrichen, weil aktuelle Ereignisse (Streik) natürlich Vorrang haben. Na ja, denke ich mir. Dann hast du halt nur 6 Minuten, kannst dafür aber in Ruhe frühstücken.
- Donnerstagmorgen, 6.30 Uhr: Ich sitze beim Frühstück und schaue auf den Monitor an der Wand. Dort sehe ich, dass man Flugzeugteile des vor einigen Tagen verschwundenen Flugzeugs gefunden hat. Dunkel ahne ich, was das für mein Interview bedeuten könnte.
- 7.45 Uhr: Ein Fahrer des ZDF holt mich im Hotel ab und bringt mich ins Studio. Es befindet sich in einem großen hellen Innenhof, der mit einem riesigen Glasdach überwölbt ist. Darunter hängen Dutzende von Scheinwerfern, die es fast unmöglich machen, nach oben zu schauen. Trotz des frühen Morgens ist es schon recht warm. Das Studio sieht aus wie ein Straßencafé und angenehmer Kaffeeduft liegt in der Luft. Die Gäste, die bereits an den orangefarbenen Tischen sitzen, sind Touristen, die einmal hinter die Kulissen eines Fernsehstudios schauen wollen. Eine junge blonde Frau mit großen Wimpern übernimmt mich und zeigt mir den Einsatzplan für meinen Auftritt. Drei kurze Interviews von etwa 2 Minuten sollen es werden, jeweils unterbrochen von sog. „Einspielern“, also kurzen Filmen, die ein Thema einleiten. Ein durchgehendes Interview von 5-6 Minuten wäre mir zwar lieber gewesen. Aber was soll‘s? Man muss flexibel sein. Dann gibt es eben kleine Pausen, in denen ich überlegen kann.
- Meine Begleitung bringt mich in die „Maske“, wo ich geschminkt werde. Dann wird verkabelt und eine Sprechprobe gemacht. Anschließend geht es in den Innenhof, wo ich darauf warte, zu meinem Platz am Tisch geführt zu werden.
- 8.39 Uhr. Jetzt sollte es eigentlich losgehen, aber erst einmal passiert nichts. Wir sind bereits ein paar Minuten über die Zeit, als die Aufnahmeleiterin zu uns eilt. Während sie mich zum Tisch mit dem Moderator führt, raunt sie mir zu: „Wir haben Probleme mit der Zeit und müssen vielleicht etwas kürzen.“ Eigentlich halte ich mich für recht belastbar, aber nun spüre ich, wie der Puls schneller wird. Ich merke, meine Gesprächsplanung wird zu einem Eiswürfel in der Sonne.
- 8.45 Uhr. Der Moderator, Herr Sirin, schüttelt mir freundlich die Hand. Auch er ist deutlich geschminkt, was ich jetzt aus der Nähe erkenne. Gut sieht er aus, ein Wunschkandidat jeder Schwiegermutter. Kurze, schwarze Haare geben ihm ein dynamisches Aussehen, am Revers seines dunkelblauen Jacketts entdecke ich die markanten Stiche von Maßkonfektion.
- 8.47 Uhr: Nun geht alles ganz schnell. Es kommen drei Fragen. Was macht gute Lehrer aus? Was halte ich von Quereinsteigern? Wie kann eine Lehrkraft zeigen, dass sie die Führung hat? Dann Unterbrechung. Ich entspanne mich ein wenig und überlege, was ich im nächsten Gesprächsblock unterbringen will.
- 8.49 Uhr: Die Aufnahmeleiterin kommt plötzlich zum Tisch und erklärt: „Ja, das war‘s auch schon. Wir haben ein Zeitproblem. Aber Sie haben das gut gemacht.“ Das bedeutet: Die zwei vorhin noch geplanten Beiträge sind gestrichen worden.
Ja, das war er auch schon, der kurze Auftritt im ZDF-Morgenmagazin. Auf der Rückfahrt nach Emden ziehe ich Bilanz: Hätte ich mich darauf eingelassen, wenn ich gewusst hätte, was mich erwartet? Vermutlich nicht. Dem großen Aufwand stand ein zweiminütiges Interview gegenüber. Allerdings ist meine Fähigkeit, sich auf wechselnde Situationen einzustellen und zu improvisieren, intensiv trainiert worden. Und das ist ja auch schon etwas. Würde ich nochmal nach Berlin fahren? Na klar, aber nur unter Vorbehalt.